Montag, 28. September 2009

Ausflug in eine andere Welt

Zurück in Bogotá, regnerisch, aber angenehme Temperaturen nach einer Woche brütender Hitze. Am vergangenen Freitag sind Hugo und ich am Terminal in Bogotá aufgebrochen im Bus Richtung Riohacha. Die Fahrt stressfrei, da grösstenteils nachts. Die Route geht zunächst steil bergab bis zur Stadt Honda am Río Magdalena, die nach knapp drei Stunden erreicht wird und praktisch schon auf Meeresniveau liegt. Danach geht es am Fluss entlang bis Santa Marta und von dort zwischen der Karibik und der Sierra Nevada de Santa Marta bis Riohacha.Die Vegetation ändert sich, bei Bogotá andin, später tropisch, in der Guajira dann karg, die Piste staubig, am Rande Divi-Divi-Sträucher, aus denen früher Tinte gewonnen wurde und die ein wichtiges Exportgut Riohachas waren. Ebenso ändern sich die Rinderarten, in den Anden noch Holstein-Kühe, werden es gen Norden immer mehr richtige "Rinder". In Riohacha sind wir dann am Samstag um elf angekommen und als erstes kommt einem beim Aussteigen ein Schwall Hitze entgegen. Die Stadt hat knapp 100.000 Einwohner, liegt in einer strategischen Position am Meer hin zur Karibik, allerdings recht abgeschnitten zwischen Meer, (Halb-)Wüste und Bergen; erst in den siebziger Jahren wurde die Carretera nach Santa Marta fertig gestellt. Neben Hitze und Staub fällt leider schnell der Müll auf, der die Strassenränder überwuchert. Ausserdem ist die Nähe Venezuelas nicht zu übersehen: am Strassenrand wird geschmuggeltes Benzin verkauft, die meisten Fahrzeuge stammen aus Venezuela, viele auch mit venezolanischem Nummernschild. Haupttransportmittel der Stadt sind Taxis (diese billiger als in Bogotá die Busse), Colectivos (Sammeltaxis) und Mototaxis (anders als in Perú wird man allerdings einfach hinten auf dem Motorrad mitgenommen). Während sich in Bogotá meistens wenigstens Fahrer und Beifahrer anschnallen, für Kinder sogar Anschnallpflicht herrscht, schnallt sich in der Guajira niemand an, auf dem Rücksitz gibt es meistens nicht einmal Gurte. Die Bevölkerung Riohachas ist sehr viel dunkler als die Bogotás, eine Mischung aus Indígenas (Wayúu), europäisch- und afrikanischstämmiger Menschen. In der Gegend gibt es noch mehr Armut als im Zentrum des Landes, interessanterweise aber weniger Bettler. Viele Menschen sind arbeitslos, aber die Familienmitglieder helfen sich irgendwie gegenseitig.

Am Samstag sind wir wie selbstverständlich im Hause von Hugos Grossmutter und Tante untergekommen und haben gleich ein Mittagessen bekommen - auffällig ist in der Guajira die wirklich beeindruckende Gastfreundschaft. Dann haben wir für mich einen Hut (typisches Modell der Costa) sowie Sandalen besorgt, um die Hitze und die Sonne besser ertragen zu können. Den Nachmittag, wie in der Guajira üblich, haben wir uns dann im Schatten aufgehalten, uns ausgeruht und den Abend abgewartet. Am Abend ging es an den Strand, im Wasser der Karibik abkühlen, einzigartig, auch wenn das Meer einer warmen Badewanne entsprach. Ausserdem haben wir am Strand frisch gefischte Fische gekauft (knapp 20 Fische für 20.000 Pesos, also unter 7 Euro), sozusagen als Dankeschön für die Gastfreundschaft, von denen wir dann aber auch einige selbst gegessen haben. So gab es dann am Sonntag gleich zum Frühstück Fisch - das Frühstück ist hier grundsätzlich warm, oft Arepas (sehr viel besser als in Bogotá) mit Käse aber eben auch mal Fisch - so dass wir am Sonntag tatsächlich dreimal Fisch gegessen haben, lecker gebraten mit Reis und Patacones (Kochbananen) serviert.

Am Sonntag haben wir dann nach einem Bad im Meer um sechs Uhr morgens die Stadt erkundigt, das vermietete Elternhaus Hugos besucht, ausserdem Nachbarn und Freunde getroffen. Um sechs Uhr morgens erklingen noch aus so manchen Häusern die Klänge der Fiesta der vergangenen Nacht, durch die Fenster sieht man Paare zu Vallenato-Musik tanzen. Übrigens ist der Vallenato, schon in Bogotá poulär, in der Guajira wirklich überall zugegen, in den Taxis, auf der Strasse, überall. Und immer in einer angemessenen Lautstärke. Interessant war die Begegnung mit einem alten Freund Hugos, Santiago, Chavista, lange Zeit arbeitslos, der jetzt ausserhalb der Stadt eine Werkstatt hat, wo er touristische T-Shirt-Designs entwirft und T-Shirts bedruckt. Zum Abschied am Samstag darauf hat er mir dann eins mit der Aufschrift "Rio Hacha" (traditionelle Schreibweise) und der Silhouette der Stadt geschenkt.

Auffällig ist der Wassermangel, im Haus von Hugos Grossmutter gibt es zwar eigentlich fliessendes Wasser, das ist aber lange Zeit des Tages abgestellt. Man duscht sich mit Wasser aus einem grossen Eimer. Wenn Wasser da ist, kommt es auch nur aus einem dünnen, einfachen Strahl aus dem Dusch"kopf". Im Badezimmer gibt es noch nicht mal ein Waschbecken, die Hände wäscht man sich im Hof. Ausserdem war gleich am Samstag und Sonntag fast den ganze Tag über der Strom abgestellt.

Am Montag ging es dann Richtung Venezuela, da Hugo eine Unterschrift für sein blockiertes Konto erneuern musste, das er dort hat, da er zwei Jahre im venezolanischen Gesundheitsministerium gearbeitet hat. Problematisch nur, dass sein Visum abgelaufen war - absurderweise benötigen Kolumbianer im Gegensatz zu Europäern ein Visum für Venezuela, Venezolaner aber nicht für Kolumbien. Deswegen war der Plan, dass Hugos Vater an der Grenze auf ihn wartet, die beiden schnell rübergehen (da der Vater die Grenzbeamten kennt) und Hugo im Ort Barrerra, nahe der Grenze, schnell die Sache erledigt. Wir sind also früh morgens mit einem Bus nach Maicao und von da auf Mototaxis zum Grenzort Paraguachón. Hugo ist dann mit seinem Vater rübergegangen, ich habe im Schatten gewartet. Allerdings kam dann der Anruf, dass er nach Maracaibo müsse, da die Filiale in Barrerra zu klein sei und er auf mich warte. Ich hab mir also schnell die Stempel abgeholt und bin losgestiefelt, dummerweise ohne Geld zu wechseln. Hab dann schnell gemerkt, dass der Weg doch etwas weiter ist als ich erwartet hatte und zu Fuss zumindest in der Mittaghitze nicht zu bewältigen. Dann hab ich gleich die Freundlichkeit der Venezolaner erlebt. Von der Tankstelle direkt hinter der Grenze hat mich ein Tanklasterfahrer, der zwischen Barrerra und der Grenze pendelt, mitgenommen bis Barrerra. Allerdings ebenso gleich die Korruption der venezolanischen Beamten: ein Passkontrolleur hat zwei Flaschen Cola dafür verlangt uns passieren zu lassen, da die Lkw-Fahrer keine Passagiere mitnehmen dürften. Naja, in Barrerra haben wir dann ein paar Bolívares gewechselt und dem Fahrer die Gaseosas mitgegeben. Erstaunlicherweise sind hinter der Grenze die Strassen erstmal schlechter als davor, es fallen die vielen Autos nordamerikanischen Modells auf, fast immer uralt, verrostet und eigentlich längst schrottreif. Vor allem die Colectivos fallen fast auseinander. Hugo musste dann also illegal weiter rein ins Land, allerdings hat ihm sein Ministeriumsausweis, den er dabei hatte, enorm geholfen bei den reichlichen Kontrollen. Wir sind dann in einem Colectivos bis Paraguaipoa gefahren und von dort mit einem weiteren Colectivo bis zum Terminal Maracaibos, wo wir einen Bus bis La Concepción genommen haben, einem ruralen Vorort Maracaibos, eine Stunde entfernt, wo Hugos Familie ein Haus errichtet und solange in einem gemieteten wohnt: zwei Schlafzimmer, ein Raum, der als Küche und Wohnzimmer dient. Kein fliessendes Wasser, stattdessen ein Brunnen, die Toilette ist auf dem Hof, der allerdings zugegebenermassen sehr weitläufig ist. Der Vater von Hugo ist knapp 70, Invalide (hat in einem Kampf zwischen Indígenas und Afrokolumbianern Schüsse in den Rücken bekommen, so ganz hab ich den Hintergrund nicht verstanden), eigentlich ist er auf den Rollstuhl angewiesen, weigert sich aber meistens, diesen zu benutzen und läuft irgendwie mit zwei Stöckern. Er ist ein sehr starker Mann, wirklich beeindruckend, dazu sehr eigene politische Ideen in einer Mischung aus Chavismus und Christianismus. Es war auf jeden Fall sehr spannend ihm zuzuhören. Die Mutter Hugos hat portugiesische Vorfahren, ebenfalls sehr herzlich, hat uns gleich ein wunderbares Abendessen bereitet. Ausserdem wohnen da noch zwei Schwestern und ein Bruder Hugos (zwischen 13 und 35 Jahre). Auch hier wieder beeindruckend die Gastfreundschaft und wie selbstverständlich ich aufgenommen wurde. Übrigens hat es an dem Abend kurz geregnet, was etwas die Hitze gemildert hat. Denn am nächsten Morgen sind Hugo und ich in die Stadt gegangen und die ist wirklich immens. Eine Grossstadt, industriell, Erdölförderstadt und noch wärmer als La Guajira. Hier sind die Colectivos das wichtigste Transportmittel und sehr günstig. Hugo hat dann seine Kontoangelegenheiten geregelt und sich danach eine Ausreisegenehmigung (Permiso de salida) besorgt, eine Möglichkeit für die sich illegal aufhaltenden Kolumbianer, frewillig zurückzugehen ohne Strafe. Darufhin haben wir dann unsere Sachen abgeholt und sind in einem Colectivo bis Maicao gefahren.

Das hat sich natürlich alles hingezögert, so dass wir erst gegen acht Uhr abends in Maicao angekommen sind, nachdem wir die Grenze ohne Probleme überquert haben. Dort wollten dann allerdings einige Leute Geld an uns verdienen, haben einen schlechten Wechselkurs angeboten und horrende Preise im Colectivo nach Riohacha. Hugo hat dann also einfach bei Verwandten um eine Übernachtungsmöglichkeit geboten. Und wieder, enorme Gastfreundschaft, ein Bett und eine Hängematte und am nächsten Morgen ein Frühstück. Dann hat Hugo die abgehoben Bolívares gewechselt und wir haben ein wenig die Stadt angeschaut, die vom Schmuggel und Handel lebt. Eine ungeheure Anzahl an Läden, in denen man alles kaufen kann, Markenprodukte, Fälschungen, Kleidung, Schuhe, Parfum usw. Ausserdem die Sehenswürdigkeit der Stadt besichtigt: die Moschee. Und zwar die drittgrösste Lateinamerikas, und das in einem kleinem Grenzkaff. Allerdings hat Maicao einen grossen arabischstämmigen Bevölkerungsanteil. Dann sind wir im Bus nach Riohacha gefahren, haben uns den Nachmittag ausgeruht. Am Abend hat Hugo sich dann immer mehr eingeengt gefühlt, da seine Oma uns unter anderem abends nicht rauslassen wollte, so dass wir dann bei weiteren Verwandten zwei Hängematten geliehen haben und in ein leerstehendes Zimmer im Hof des Hauses seiner Eltern gezogen sind. Auch hier kein fliessendes Wasser, dafür muss man in dem Viertel (Barrio Paraíso) das Wasser, das zweimal die Woche kommt, nicht bezahlen.

Am Donnerstag sind wir dann recht früh morgens aufgebrochen Richtung Finca (Bauernhof) eines Cousins von Hugo. Knapp eine Stunde im Colectivo von Riohacha liegt der Ort Machobayo, von dort ist es dann ein anderthalbstündiger Fussmarsch durch die Sonne bis zur Finca. Die Landschaft zwar trocken, aber weniger als ich erwartet hätte. Ausserhalb Riohachas ist der Grossteil der Bevölkerung indigen. Die Wayúu sind eine der wenigen karibischen Indianergruppen die überlebt haben und immer noch ihre Kultur bewahren. Viele sprechen nur bruchstückhaft spanisch. Auf der Finca gibt es eine grosse Rinder- sowie Schafs- und Ziegenherde. Ausserdem frei herumlaufende Hühner, Schweine und Pfauen sowie ein Pferd. Der Cousin Hugos, Heiman, ist Sohn eines Wayúu und einer Schwarzen. Seit dem Tod der Mutter kommt die Finca allerdings herunter, die restlichen Familienmitglieder sind weggezogen nach Machobayo und Maicao und Heiman ist allein, lässt aber auch keine Einmischung zu, scheint ein wenig verrückt, besitzt eine Waffe, mit der wohl schon seine Brüder bedroht hat. Im direkten Umgang eigentlich recht sympathisch, ist er bei den Nachbarn unten durch. Am schlimmsten für diese, dass er uns nicht standesgemäss bewirtet hat, kein Mittagessen angeboten hat und immer wieder verschwunden ist, denn in der Guajira ist Gastfreundschaft keine Höflichkeit sondern Gesetz. Wir haben trotzdem einen angenehmen Tag verbracht, ein wenig geritten, sind herumgelaufen und haben benachbarte Fincas, Freunde von Hugo besucht, die Leute empört über Heiman. Dort haben sie uns, wie übrigens in allen Fincas, die wir besucht haben, einen Tinto angeboten, ausserdem haben sie uns Galletas und Käse gegeben, um bis zum Abendessen zu überbrücken. Die Wege zwischen den Fincas sind abenteuerlich, zwar gibt es meistens Wege, diese führen allerdings auch oft durch Stacheldrahtzäune, durch die man hindurch klettert; ebenso muss ein Flusslauf durchquert werden. Interessant fand ich die Methode der Wassergewinnung auf den Fincas, und zwar schöpfen Windmühlen Grundwasser in entsprechende Behälter. Zum Abendessen ist Heiman dann wieder aufgetaucht und wir haben Kartoffeln und Käse gegessen. Käse ist übrigens das typische Produkt der Region und überaus schmackhaft. Geschlafen haben wir an der freien Luft, allerdings überdacht, in Chinchorros (Hamacas, Hängematten). Am Freitag früh aufgestanden, frisch gemolkene Milch, sowie Kartoffeln und Käse gefrühstückt, dann ist Heiman wieder verschwunden. Um das Mittagessen haben wir uns dann selbst gekümmert und mit der Hilfe eines Freundes von einer Nachbarfinca ein Huhn getötet (geschlachtet beschreibt die Methode nicht ganz) und mit Reis zubereitet. Pünktlich zum Essen ist dann Heiman wiedergekommen und hat fleissig mitgegessen. Nach einer langen Nachmittagsruhe sind Hugo und ich dann mit demselben Freund aufgebrochen, um Yucas zu ernten, ein langer Weg durch fast urwaldähnliches Gebiet, es hat angefangen zu regnen, willkommene Abkühlung. Auf dem Rückweg sind wir dann in die Dunkelheit geraten, das war ein wirklicher Nachtspaziergang über die Felder, durch die Zäune, und haben dann Yuca mit Käse gegessen. Heiman ist mal wieder gekommen, als das Essen gerade fertig war.

Am Samstag-Morgen sind wir dann zurück nach Riohacha gelaufen und gefahren. Freundlicherweise hat uns ein Bekannter mitgenommen. Dort haben wir uns dann ausgeruht, sind noch ein bisschen rumgelaufen, haben mir eine typische Wayúu-Tasche (mochila) gekauft, berühmt für die Region und auch in der Universidad Nacional weit verbreitet, in Bogotá aber dreimal so teuer. Ausserdem hat mir Hugo noch den typischen Chirrinchi, Churro, präsentiert, den Schnaps der Region, ein Rum, destilliert aus Panela (Zuckerrohrextrakt) und Früchten, für mich allerdings fast ungeniessbar, da sehr stark.

Am Sonntag-Morgen haben wir dann noch ein Bad im Meer genommen, die Hängematten zurückgebracht und auf dem Markt Arepas con queso gefrühstückt, wie fast jeden Morgen in Riohacha, dazu übrigens chicha, dort die Bezeichnung für Saft, aus Mais, Ananas, Guayaba oder Tomate de árbol und extrem lecker. Nach dem Mittagessen (typische pasteles, eine Art tamales, gefüllte Bananenblätter mit Maisbrei, Gemüse und Schweinefleisch) haben wir dann den Bus nach Bogotá genommen. Diesmal über Valledupar, deswegen ein wenig schneller, so dass wir heute morgen um zehn in Bogotá angekommen sind, in einer für mich auf die Dauer angenehmeren Temperatur, und pünktlich zum Unterricht um zwei. Die Reise war wirklich eindrucksvoll, ich habe unglaublich viel gesehen, gelernt, eine wahrhaftig andere Welt kennen gelernt. Nebenbei auch ein wenig die Karibik genossen, zwar schön, aber für mich wegen der Hitze auf die Dauer eher nicht reizvoll. Für eine Reise natürlich immer wieder.

2 Kommentare:

  1. Christiannnnnnnnnnnnnnnn29. September 2009 um 00:52

    Hallo Nikolai!

    Ist ja absolut spannend dein Bericht, die Wärme würde mich absolut antörnen.Wie ist denn das Schlafen in der Hängematte? Wovon leben bzw. arbeiten die Menschen da vor allem? Außer vom Schmuggel? Und Heiman ist also ne Art Bauer, der immer abtaucht?

    ciai

    Christoph

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  2. wow, mehr faellt mir dazu nicht ein!!!!!
    ich will auch!!!

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