Montag, 17. August 2009

¡A Palacio!

Was macht man nicht alles, um sich abzulenken.. Brötchen mit Arequipe essen, Kakao trinken, hier was schreiben.. jetzt sitze ich also gerade an meiner ersten kolumbianischen Nachtschicht und muss einen 400-Seiten-Text in zwei-drei Seiten zusammenfassen. Für morgen, 9 Uhr. Der Text ist gelesen, eine Seite geschrieben, trotzdem fehlt irgendwie noch viel und das ist dann doch nicht das allereinfachste auf Spanisch. Tatsächlich ist das Unisystem doch sehr verschult hier. Aber so muss man halt die Texte lesen. Was nicht direkt schadet, wenn sie interessant sind; weniger Freiheit als in Deutschland lässt es einem schon. Dafür bin ich jetzt ein absoluter Experte, was Jorge Eliécer Gaitán angeht, Caudillo?, Populist?, Demagoge?, Sozialist?, Faschist? Das alles wurde er genannt zu Lebzeiten und danach. Er war ungemein populär in den ärmeren Bevölkerungsschichten, unbequem für die etablierten Parteien, auch wenn er aus einer der beiden heraus grösstenteils agierte. Seine Anhänger nannten sich Gaitanisten. Ermordet wurde er, wahrscheinlich noch nicht mal aus politischen Motiven, am Mittag des 9. April 1948 vor seinem Büro an der Carrerra Séptima Ecke Avenida Jiménez de Quesada. Der Mörder wurde innerhalb weniger Minuten gelyncht (starb tatsächlich noch vor Gaitán, der eine halbe Stunde später im Krankenhaus seinen Verletzungen erlag) und zur Plaza Bolívar geschleift unter lauten Rufen, die den Sturz der konservativen Regierung forderten. In den darauffolgenden Stunden wurde das Zentrum Bogotás praktisch zerstört, die wichtigsten Gebäude niedergebrannt, geplündert, Radiostationen und Polizeipräsidien besetzt. Zum Teil schlossen sich auch Polizisten der Masse an, die minütlich grösser wurde, nach der Verbreitung der Nachricht des Mordes Mund zu Mund und über das Radio. Der Masse gegenüber stand unter anderem die Leibgarde des Präsidenten und Teile des Heeres. Das Chaos ohne Gleichen. Insgesamt haben an diesem Tag wohl über tausend Menschen das Leben verloren, während die politischen Führer sich verschanzten und über die Konsolidierung ihrer Macht beratschlagten. Unglaublich, wie der Mord an einer Person ein solches Inferno verursachen konnte, der Zustand der Stadt wurde danach verglichen mit dem zerbombter europäischer Städte nach dem zweiten Weltkrieg. Im Nachhinein wurde natürlich von einer internationalen kommunistischen Verschwörung gesprochen, die sowohl den Mord als auch das darauffolgende Chaos verursacht haben soll. Wie auch immer. Der Tag ging auf jeden Fall als Bogotazo in die Geschichte Kolumbiens ein und hat diese seitdem immens geprägt.
An dem Tag übrigens interessanterweise vor Ort (als kubanischer Studentenvertreter wegen der Conferencia Panamericana, die über die Gründung der OAS beratschlagte) und irgendwie beteiligt: Fidel Castro.
Das alles muss ich jetzt nur noch in schönem Spanisch zusammenfassen, dann hab ichs für heute geschafft. Vielleicht trinke ich jetzt noch einen Tee?

5 Kommentare:

  1. Klingt extrem interessant! Ich glaube ja noch an das Gute in der Verschulung. Grenzen und Unfreiheiten können durchaus sehr inspirierend sein, soweit sie nicht dazu bestehen, die Insassen zu manipulieren ;]

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  2. Was von alledem war er denn nun????
    Ich hoffe, der Tee hat geschmeckt und die Nachtschicht hatte einen schönen spanischen Text als Resultat... Kannst du auch gerne mal schicken^^
    Besooooos

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  3. Hallo! Wichtig in diesem Zusammenhang sind natürlich auch die wesentlichen Dinge. Was ist arequipe: Arequipe
    Zutaten
    1l Milch, 500g Zucker
    Zubereitung
    Milch aufkochen und den Zucker unterrühren. Unter ständigem Rühren weiter erhitzen, bis ein karamellartiger
    Brei entsteht. Kleine Drops mit Teelöffeln aus dem Brei formen.Gefunden im Netz!
    In diesem Zusammenhang wünsche ich einen süßen Appetit! Ansonsten hat mich dein Bericht diesen doch sehr interessiert verfolgen lassen. Und Fidel Castro ist also womöglich in Wirkllichkeit ein gaetaner!?
    Christoph

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  4. Tatsächlich kann man eventuell durch diese Art der Wissensvermittlung mehr lernen als durch eine realtive Freiheit. Garantiert Persönlichkeits- und Motivationsabhängig.

    Gaitán war vor allem er selbst und hatte sicherlich Züge aller im zugedachter Titel. Da er letztlich nie an der Macht war, ist sein Handeln schwierig einzuordnen. Denn Macht verändert ja bekanntlich Persönlichkeiten. So ist er wahrscheinlich insgesamt positiv einzuschätzen, wenn auch mit deutlichen Einschränkungen.

    Arequipe ist dulce de leche, cajeta (aber ohne Ziegenmilch), gibt es unter verschiedensten Namen in ganz Lateinamerika. Sehr süss.

    Und über Fidel Castro könnte man noch ganz andere Aufsätze schreiben.. Aber Gaitanist war er garantiert nicht, wenn auch garantiert beeindruckt von der Macht des einfachen Volkes.

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  5. Toll, wenn du uns an deinem erlernten Wissen teilhaben lässt.... Dann lohnen sich auch wenigstens die Kursgebühren;)
    Und noch toller, dass du auf idiotische Kommentare ernst antwortest...

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